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Krank, gemobbt, vernachlässigt: Fachklinik therapiert chronische Schulschwänzer
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Schulkind an Straßenlampe
dpa/Arno Burgi Konkrete Zahlen zum Schulschwänzen gibt es nicht.

Nicht immer steckt hinter Schulschwänzen Faulheit - oft haben die Verweigerer mit tiefgehenden Problemen zu kämpfen. Ausgeschlossen sein, Depressionen oder psychosomatische Beschwerden: Eine Fachklinik im Allgäu kennt die Ursachen und hilft Jugendlichen zurück in den Alltag.

In der Fachklinik für Kinder und Jugendliche in Wangen (Kreis Ravensburg) landen keine Schulschwänzer, die bei Sonnenschein lieber draußen sind als im Unterricht zu sitzen. Viele Patienten haben vielmehr einen langen Leidensweg hinter sich.

Eine 16-Jährige zum Beispiel, die ihren Namen nicht nennen möchte: Sie erlitt schon als Erstklässlerin schwere Kränkungen. "Ich hatte Asthma und Neurodermitis, für die anderen Schüler war ich das Monster", sagt das scheue Mädchen. Seit drei Wochen ist sie in der Rehabilitation in Wangen. 

"Langsam fange ich wieder an, mich zu mögen"

Sie habe mit Bauchschmerzen gekämpft, aus Frust Essen in sich hineingestopft und sich schließlich für ihr Übergewicht geschämt, erzählt sie. Als ihre Lehrerin sie als Versagerin abstempelte, verletzte sie sich selbst, dachte an Selbstmord und isolierte sich zunehmend.

"Ich rückte Schränke vor die Zimmertür, damit meine Eltern nicht zu mir konnten", erinnert sich die 16-Jährige. In die Schule traute sie sich kaum noch. Nach einer Therapie in einer psychiatrischen Tagesklinik ist das Mädchen nun in Wangen. "Langsam fange ich wieder an, mich zu mögen."

Von 1500 Patienten gehen 300 kaum zur Schule

Von den jährlich 1500 chronisch kranken Patienten der Kinderklinik gehen nach Angaben von Chefarzt Dirk Dammann etwa 300 kaum noch zur Schule - mit steigender Tendenz. Organische und psychosomatische Beschwerden halten sich dabei die Waage: "Manche kommen mit Asthma, Dermatitis, manche mit ADS, Angststörungen, Depressionen, Störungen des Sozialverhaltens", zählt der Kinder- und Jugendpsychiater auf. "Viele haben zwei oder drei Baustellen gleichzeitig."  

Michael Gomolzig vom Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg erklärt die Zunahme auch mit gestiegener Sensibilisierung: "Schulen und Eltern achten heutzutage mehr darauf, ob ein Kind fehlt, und holen eher das Jugendamt dazu", sagt er.

Den ganzen Tag schlafen, Computer spielen und Marihuana rauchen

In Wangen wird für jeden Patienten ein individueller Therapieplan erstellt, bei dem Krankenpfleger mit Sozialpädagogen, Psychologen oder Bewegungstherapeuten zusammenarbeiten. In der angeschlossenen Heinrich-Brügger-Schule lehren 40 Pädagogen aller Bildungsgänge in inklusiven Lerngruppen. "Manche fangen mit 20 Minuten Unterricht pro Tag an, die Gruppen haben bis zu acht Schüler", erzählt Schulleiter Stephan Prändl. 

Für einen 15-Jährigen, der ebenfalls anonym bleiben möchte, ist es der siebte Tag in Wangen. Seit Jahren habe er erstmals wieder einen geregelten Tagesablauf und keinen Kontakt mehr "zu falschen Leuten", wie er es ausdrückt. Von der fünften Klasse an fühlte sich der stille Junge ausgeschlossen und unverstanden, kämpfte mit Depressionen, war sechs Monate lang krankgeschrieben und in Therapie. "Dann habe ich den ganzen Tag geschlafen, bis früh morgens am Computer gespielt, Marihuana geraucht und auch verkauft."

"Hier hat jeder ein Problem"

Seine Eltern waren kaum präsent: "Mein Vater ist sowieso weg, und meine Mutter war eigentlich nie da." Ging er mal zur Schule, fiel er durch aggressives Verhalten auf. Als sich ein Freund das Leben nahm, zog Tim die Notbremse: Zusammen mit seiner Mutter fand er einen Arzt, der ihn ins Allgäu schickte. "Hier hat jeder irgendein Problem, da fühlt man sich nicht mehr allein", erzählt er. 

Vier bis acht Wochen bleiben die Kinder und Jugendlichen in Wangen. "Für die Zeit danach organisiert die Klinik ambulante Betreuung und "individuelle Bildungswege am Heimatort", sagt Dammann. Daneben hat die Klinik 36 Plätze in therapeutischen Wohngruppen für Jugendliche.

"Ich stand kurz vor dem Amoklauf"

Darin zum Beispiel ein 19-Jähriger: Von seinem Vater lernte er nach eigener Schilderung schon früh, bei Konflikten zuzuschlagen. In der Schule wurde der leicht autistische Junge schnell zum Außenseiter, bezog jahrelang Prügel, entwickelte Wut und Hass, Sozialphobien, zuletzt schwere Persönlichkeitsstörungen und Gewaltfantasien. 

"Ich spielte 16 Stunden täglich am Computer, hatte Rachegedanken, wollte Waffen beschaffen, stand kurz vor einem Amoklauf", erzählt er nüchtern. Nach einem sechswöchigen Klinikaufenthalt mit Zwangsmedikation und zehn Monaten in der Wangener Rehabilitation steuert der junge Mann nun auf einen Realschulabschluss zu.

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abr/dpa
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